Börsenkommentar einer Legende nach dem Terroranschlag auf das Worldtradecenter 2001

Langfristig gibt es keine Alternative zur Aktie
Quelle: Fidelity Investments

Peter Lynch zum US-Aktienmarkt nach den Anschlägen in den USA

Am 11. September 2001 hat sich das Leben der Menschen in den USA verändert. Nach den ersten Tagen des Schocks wurden die Märkte wieder für den Handel geöffnet und die Menschen versuchen nun, den Weg zurück zum Alltag zu finden. Angesichts der ungewissen Situation fragen sich viele Anleger: "Wie geht es weiter mit dem Aktienmarkt und mit der Wirtschaft?" Im folgenden Text erläutert Peter Lynch, warum er trotz der schrecklichen Ereignisse weiterhin fest an den US-Aktienmarkt glaubt.

Die US-Märkte sind seit ihrer Wiedereröffnung sehr volatil gewesen und hatten zunächst starke Einbrüche zu verzeichnen. Diese Volatilität ist jedoch nichts Neues, sondern historisch gesehen eine normale Begleiterscheinung an den Börsen. Seit 1970 ging der US-Aktienmarkt 21-mal um mehr als 10% zurück und 8-mal um mehr als 20%. Kurzfristig gesehen müssen wir mit einer unruhigen und schwierigen Börsenperiode rechnen. Peter Lynch ist Vice Chairman der Fidelity Management & Research Company. Er leitete von Mai 1977 bis Mai 1990 den legendären Fidelity Magellan Fund (nur für US-Anleger erhältlich) und ist Autor mehrerer Bestseller zum Thema Geldanlage.

Wie geht es weiter am Aktienmarkt?

Obwohl ich seit über 30 Jahren im Investmentgeschäft tätig bin und viele schwierige Augenblicke miterlebt habe – etwa den Börsencrash von 1987 (als der Dow Jones an einem einzigen Tag um 23% einbrach) sowie fünf Rezessionen –, kenne ich die Antwort auf diese Frage immer noch nicht. Niemand kann mit Gewissheit vorhersagen, in welche Richtung die nächsten 1.000 Punkte uns führen werden. Marktschwankungen sind wohl keine angenehme, aber eine normale Erscheinung. Wichtig ist es für uns Anleger, nicht aus den Augen zu verlieren, aus welchen Motiven heraus wir uns eigentlich am Aktienmarkt engagieren.

Wenn wir an der Börse investieren, kaufen wir Anteile an Unternehmen. In der Geschichte der USA hat es Hunderte großartiger Unternehmen gegeben. Im folgenden will ich keine Empfehlung für ein bestimmtes Unternehmen aussprechen. Einige werden weiterhin gute Geschäfte machen, andere werden vielleicht im Laufe der Zeit verschwinden, aber betrachten wir einfach mal ein paar Beispiele. In den vergangenen Jahrzehnten haben Unternehmen wie Johnson & Johnson, General Electric, Coca-Cola, Wal-Mart, Disney und McDonald’s ihre Gewinne kontinuierlich steigern können. Zudem gibt es Dutzende von Unternehmen, die erst vor 20 Jahren gegründet wurden und sich zu echten Erfolgsstories mit beeindruckendem Gewinnwachstum entwickelten – Unternehmen wie Microsoft, Dell, EMC, Home Depot, Amgen und Staples, um nur einige zu nennen. Und auch in den kommenden Jahrzehnten werden Dutzende neuer, profitträchtiger Unternehmen den Markt erobern und weiter vorantreiben.

Seit dem zweiten Weltkrieg sind die Unternehmensgewinne um das 63fache, der Aktienmarkt um das 71fache gestiegen – obwohl es neun Rezessionen und viele andere wirtschaftliche Rückschläge gab. Der Gewinn pro Aktie hat aller Schwächephasen zum Trotz jährlich im Schnitt um 9% zugelegt. Diese neun Prozent klingen vielleicht nicht besonders aufregend, aber bedenken Sie, dass sich die Gewinne damit nach acht Jahren mathematisch verdoppeln, nach 16 Jahren vervierfachen, nach 32 Jahren versechzehnfachen und nach 48 Jahren um das 64fache gestiegen sind. Selbst wenn die Gewinnwachstumsrate auf 6% bis 7% sinken sollte, werden die akkumulierten Gewinne über einen Zeitraum von 10 bis 20 Jahren immer noch beeindruckend ausfallen.

Die Aktienmärkte schauen nach vorne, in die Zukunft – dies kann ich mit Gewissheit behaupten. Auch wenn wir derzeit vor einer schwierigen Situation stehen: Jede wirtschaftliche Erholung seit dem zweiten Weltkrieg wurde von einer Rally am Aktienmarkt eingeleitet. Und solche Rallies beginnen oft dann, wenn die äußeren Umstände eher düster sind.

Sicher werden die jüngsten Ereignisse manche Unternehmen und Branchen stärker treffen als andere. Langfristig jedoch bin ich überzeugt, dass die Unternehmensgewinne in 10 Jahren höher sein werden als heute, in 20 Jahren sogar drastisch höher. Und die Märkte werden diesem Trend entsprechend folgen.

Wie geht es weiter mit der Wirtschaft?

Viele Ökonomen meinen, dass uns eine Rezession ins Haus steht. Ich selbst bin kein Ökonom, beschäftige mich aber viel mit Geschichte. Ob es zu einer Rezession kommen wird oder nicht, kann ich nicht sagen, aber ich weiß, dass wir in der Vergangenheit zahlreiche Rezessionen durchmachen mussten – und dass auf jede dieser Rezessionen eine konjunkturelle Erholung folgte. In den letzten 50 Jahren erlebten die USA viele Zeiträume wirtschaftlicher Prosperität und andere, die von Unsicherheit geprägt waren. Es gab neun Rezessionen, drei Kriege, zwei Anschläge auf Präsidenten (ein Präsident starb, ein anderer überlebte), die Abdankung eines Präsidenten, ein Amtenthebungsverfahren und die Kuba-Krise – und trotz all dieser Ereignisse haben sich Investments am Aktienmarkt mehr als gelohnt.

In den vergangenen 12 Monaten hat sich die Konjunktur bereits verlangsamt. Viele hart arbeitende Menschen haben ihre Jobs verloren – eine schmerzhafte Erfahrung –, und es stehen wohl noch weitere Kündigungen bevor. "Hintergrundgeräusche” und Medienberichte werden die Menschen verunsichern und sich auf das Verbrauchervertrauen auswirken. Aber es gibt einige sehr wichtige Faktoren, die wir im Auge behalten sollten. So sind die Rezessionsphasen seit dem zweiten Weltkrieg weniger schmerzvoll ausgefallen (von 1948 bis 1991 gingen in diesen Phasen zunehmend weniger Arbeitsplätze verloren), sie sind kürzer ausgefallen (im Durchschnitt dauern sie ein Jahr, die Erholungsphase im Schnitt vier bis acht Jahre), und keine dieser Rezessionen geriet außer Kontrolle.

Die USA haben es in der Vergangenheit immer geschafft, auch die schwierigsten Zeiten gestärkt zu überstehen. Den neun genannten Rezessionen stehen neun Aufschwünge gegenüber. Es gibt viele Gründe, warum in den USA schwache Konjunkturphasen unter Kontrolle bleiben. Hier sind einige solche Gründe, die erklären, warum unser Wirtschaftssystem unverändert stark bleibt und wie diese Faktoren unsere Wirtschaft ständig neu beleben:

Staatsausgaben: Diese steigen Jahr für Jahr, ohne Ausnahme. Wenn die Ausgaben von Verbrauchern und Unternehmen in schwierigen Zeiten zurückgehen, dienen die Staatsausgaben als Puffer für die Wirtschaft. Die US-Regierung verfügt derzeit über ein komfortables Haushaltsplus, womit weitere Staatsausgaben ermöglicht werden, selbst wenn die Steuereinkünfte zurückgehen sollten.

Immobilienmarkt: Der Preis eines Durchschnittshauses ist seit 30 Jahren nicht mehr gefallen. In den letzten drei Jahren ist der Wert eines Durchschnittshauses um 5-6% gestiegen. Dadurch verfügen Hausbesitzer über 2 Billionen US-Dollar zusätzlichen Kapitals, was einen Großteil der Verluste wettmacht, die Privatanleger in den beiden letzten Jahren am Aktienmarkt erlitten haben.
Bankwesen: Dieser enorm wichtige Grundpfeiler unserer Wirtschaft befindet sich in gesunder Verfassung. Regulierung, Liquidität und Einlagensicherung sind gewährleistet.

Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit: Die meisten Familien haben ein doppeltes Einkommen und verfügen auch dann über Einkünfte, falls einer der Ehepartner arbeitslos wird. Arbeitsplätze in der zyklischen und herstellenden Industrie, die von Kündigungen stärker betroffen sind, stellen einen wesentlichen geringeren Anteil der Beschäftigten dar als vor 30 Jahren. Die Arbeitslosenversicherung unterstützt Menschen auf der Suche nach neuen Jobs.

Konjunkturrückgang bringt niedrigere Zinsen: Sinkende Zinsausgaben für Verbraucher wie Unternehmen fördern Konsum und Investitionen (Fabriken, Ausrüstung, Forschung und Entwicklung).

Rentensystem: Mehr als 30 Millionen US-Amerikaner beziehen aus Pensions- und Sozialversicherungskassen ein ständiges Einkommen.

Ausbildung: An den US-Universitäten studieren inzwischen mehr als 14 Millionen Studenten. Deren Ausgaben, Studiengebühren und Stipendien bleiben vom guten oder schlechten Zustand der Wirtschaft relativ unbeeinflusst.

Gesundheitsausgaben: Über 10% des Bruttoinlandsprodukts entfallen auf die Gesundheitsbranche, ein weiterer Bereich, der von wirtschaftlichen Veränderungen weniger betroffen ist. Auch in schwierigeren Zeiten müssen Menschen ihre Ärzte konsultieren und Medikamente kaufen. Und vor 50 Jahren gab es zudem noch nicht den Krankenversicherungsschutz von heute.

Was sollte man in den nächsten Wochen tun?

Meine Ansichten haben sich in den letzten zwei Wochen nicht geändert, ebenso wenig wie in den letzten zwei Jahren oder den letzten 20 Jahren. Und sie werden sich auch in zwei Jahren oder in 20 Jahren nicht ändern. Geld, das Sie in absehbarer Zeit für eine Hochzeit, eine Anzahlung beim Hauserwerb oder das Studium Ihrer Kinder brauchen, sollten Sie nicht am Aktienmarkt investieren. Wenn Sie jedoch ausreichende Mittel für Ihre kurzfristigen Bedürfnisse zurückgelegt haben, dann haben Sie die Zeit auf Ihrer Seite und der Aktienmarkt ist genau der richtige Ort zum Investieren, wie die Geschichte gezeigt hat. Und wenn ich von langfristig rede, meine ich nicht etwa "Mittwoch in drei Wochen", sondern mindestens fünf, zehn oder zwanzig Jahre. An den Börsen gibt es immer wieder mal schwierige Zeiten, die jetzige Situation zählt dazu. Aber wenn Sie über die vergangenen 15, 30 oder 50 Jahren am Markt investiert waren, sind Sie heute sicher glücklich darüber, allen schmerzvollen Zeiten zum Trotz.

Sicher: Trader und Market-Timer, also Anleger, die je nach Marktlage ständig kaufen und verkaufen, können die schlechten Monate teilweise umgehen – dafür werden sie aber auch einige der guten Monate verpassen. Aufwärtsbewegungen an der Börse erfolgen oft sehr schnell. Wer über die vergangenen 40 Jahre ständig in den Markt ein- und ausgestiegen ist und dabei die 40 besten Monate verpasste, reduzierte seine jährliche Durchschnittsrendite von 11% auf 3% (also weniger, als ein Geldmarktfonds eingebracht hätte). Market Timing heißt Spekulieren und zahlt sich selten oder gar nicht aus.

Wie oben schon erwähnt: Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob die nächsten 1.000 oder 2.000 Punkte am Markt nach oben oder unten gehen werden – dass jedoch die nächsten 10.000, 20.000 und 40.000 Punkte aufwärts führen, davon bin ich überzeugt. In Industrie, Gesundheitswesen und Technologie hat es unglaubliche Innovationen gegeben. Wir haben den Niedergang des Kommunismus und den Aufschwung der freien Marktwirtschaft erlebt. Inzwischen gibt es ABS-Bremsen, Scanner an der Supermarktkasse, tiefgreifende Verbesserungen in der Herzchirurgie, künstliche Hüften und Nieren, Medikamente zur Heilung und Behandlung von Bluthochdruck, Cholesterin und anderen schweren Krankheiten. Diese Heilmethoden, Erfindungen und Innovationen schaffen Arbeitsplätze, machen Unternehmen effizienter und steigern den Wohlstand weltweit.

Wenn Sie in die Stärke von Entschlossenheit, harter Arbeit und Innovation in den USA glauben, dann denken Sie langfristig und glauben Sie an unser Wirtschaftssystem. Ich glaube fest daran.

Die in diesem Interview von Peter Lynch vertretenen Meinungen repräsentieren nicht unbedingt die Meinung von Fidelity. Die genannten Unternehmen werden zu rein illustrativen Zwecken angeführt. Dies stellt keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf der jeweiligen Werte dar.

Peter Lynch ist Vice Chairman der Fidelity Management & Research Company. Er leitete von Mai 1977 bis Mai 1990 den legendären Fidelity Magellan Fund (nur für US-Anleger erhältlich) und ist Autor mehrerer Bestseller zum Thema Geldanlage.